27.11.2010

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kurze pause.

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komm näher


komm näher
mein freund
noch näher
sonst
muss ich erfrieren

nicht so nah
du freund du
nicht so nah
atmen
muss jeder für sich


anne steinwart

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26.11.2010

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dass noch niemand die wahren worte gehört, hat, die worte, wegen deren überhaupt gehört wird, dass alle hören und hören und auf diese eigentlichen worte warten. bis einer sie einmal gehört hat, werden seine ohren sich in flügel verwandeln, und die der anderen ihm nach.



elias canetti
[aus: die provinz des menschen, aufzeichnungen 1942-1972]


25.11.2010

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ich bin kein intellektueller hochstrahlbrunnen
mit wortgeglitzer in lauten farben
metaphernglamour und geistesblitzen im
brunnengrund

ich bin ein langsam dahinfliessender strom
der sich abmüht durch die endlose ebene
zu reisen mit einer unzahl von kieselsteinen
kleine und grössere wirbel erzeugend
über die es sich immer und immer grübeln lässt
des grübelns ist kein ende

der strom muss fliessen und grübeln
so ist sein ewiger lauf ohne lärm und spektakel
er fliesst und fliesst und fliesst



traute foresti
[aus: es brennt der mohn - bibliothek der provinz]

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24.11.2010

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die gleichgültigkeit der wolken
bringt uns unseren einsamkeiten zurück;
und urplötzlich sind wir ohne alter,
wir gewinnen an höhe.


michel houellebecq
[aus: suche nach glück, gedichte – dumont]

23.11.2010

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vom verschwinden bleibt


vom verschwinden bleibt fast nichts

nur die frage warum
und dass man es aufschreibt
den stift dabei in der hand
wie einen stock mit dessen spitze
man einen toten vogel berührt –
nicht ohne scheu

als schrecke das tier
im nächsten moment
auf und davon
träumt man noch jahre
später


marc hermann
[aus: vom verschwinden bleibt – erscheint mitte dezember bei edition-isele]

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22.11.2010

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frage und antwort


was kann man
gegen die trauer tun?

eigentlich nichts

ausser trauern.


franz hohler
[aus: vom richtigen gebrauch der zeit]

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21.11.2010

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20.11.2010

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you cannot think about thinking,
without thinking about thinking
about something.



seymour papert

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19.11.2010

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seine ganze zärtliche liebe zum leben durchzitterte ihn in diesem augenblick und die tiefe sehnsucht nach seinem verlorenen glück. aber dann blickte er um sich in die schweigende, unendlich gleichgültige ruhe der natur, sah, wie der fluss in der sonne seines weges zog, wie das gras sich zitternd bewegte und die blumen dastanden, wo sie erblüht waren, um dann zu verwelken und zu verwehen, sah, wie alles, alles mit dieser stummen ergebenheit dem dasein sich beugte, - und es überkam ihn auf einmal die empfindung von freundschaft und einverständnis mit der notwendigkeit, die eine art von überlegenheit über alles schicksal zu geben vermag.


thomas mann
[aus: der kleine herr friedemann - fischer]
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18.11.2010

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foto: marianne rieter



schreib deine bilder
bevor sich das blatt wendet.


andreas neeser
[aus: die sonne ist ein nasser hund - wolfbach]

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17.11.2010

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schwer zu akzeptieren
dass nichts in mir
dem sommerregen gleicht
jener kühlen
erfrischenden stimme
die mir geduldig
wieder und wieder
das einfache erklärt


werner lutz
[aus: schattenhangschreiten – waldgut]
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16.11.2010

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ein paarmal sagst du wird es noch so sein -
ein herbst der alles von sich streift als wärs
genug - ein wechselspiel - das nun mit uns
es bunter treibt - wie laub uns fallen lässt
als wär genüge schon getan - und ausgelebt
was sich noch farbig in den adern staut


helwig brunner
[aus: grazer partituren]

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15.11.2010

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blues.


jeder ton beschwört ein altes ich
man fragt den fisch ohne ziel den
blütenkranz das fremd toupierte
haar zu spät finden sich die väter
wie im film ein blick zurück aufs
wasser und sinkt ins herz ins offene
messer es bleibt ein leeres haus
nichts das den herbst zu lindern
vermöchte im hintergrund die alpen
der see die traurigkeit der bäume


marianne rieter
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14.11.2010

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foto: marianne rieter

 

leiser wird die hand, der mund,
stiller die gebärde.
heimlich, wie auf meeresgrund,
träumen mensch und erde.


christian morgenstern
[in: novembertag]
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13.11.2010

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wahrnehmung als ereignis - das ist es, was im bewusstsein des autors vorausgegangen sein muss, damit das gedicht entstehen kann. und es bezeichnet zugleich, was das gedicht dem leser im spracherlebnis zu bieten hat. wahrnehmung als ereignis. unsere lieblingsgedichte sind wahrscheinlich jene, bei denen wir am deutlichsten fühlen, dass sie uns sehend machen.

rainer malkowski
[in: dreizehn arten das gedicht zu betrachten, dankesrede zum breitbach-preis 1999]


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12.11.2010

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foto: marianne rieter




dove sta amore

dove sta amore
where lies love
dove sta amore
here lies love
the ring dove love
in lyrical delight
hear love's hillsong
love's true willsong
love's low plainsong
too sweet painsong
in passages of night
dove sta amore
here lies love
the ring dove love
dove sta amore
here lies love


lawrence ferlinghetti
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11.11.2010

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älter werden


die sehnsucht
nach gerechtigkeit
nimmt nicht ab
aber die hoffnung

die sehnsucht
nach frieden
nicht
aber die hoffnung

die sehnsucht nach sonne
nicht
täglich kann das licht kommen
durchkommen

das licht ist immer da
eine flugzeugfahrt reicht
zur gewissheit

aber die liebe

der tode und auferstehungen fähig
wie wir selbst
und wie wir
der schonung bedürftig


hilde domin
[aus: gesammelte gedichte – fischer]

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10.11.2010

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for the one and only gertrude stein

eine rose ist eine rose ist eine rose
aber eine frau?

ein riese ist ein riese ist ein riese
aber eine frau?

ein stein ist ein stein ist ein stein
aber eine frau?

eine frau ist eine frau ist eine frau
aber eine rose?

ernst jandl
[aus: einer raus einer rein – wagenbach]

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09.11.2010

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grabspruch auf dem campo dos poetas


ich hab kein leben
aber ein werk.
ob das was taugt?
hätt das leben was getaugt?


hugo loetscher
[aus: war meine zeit meine zeit – diogenes]

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08.11.2010

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so grün war es nie
verschwinden, über klingen
springen, sonnenlicht
zwischen den zehen
auf schiffen

birgit kreipe
[aus: es ist so heiss in venedig – poetryletter 157]

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07.11.2010

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verstecke
es haar
vo dir
als bewys
geschter isch hüt
hüt isch geschter
und du bisch bi myr


elvira marazzi
[aus: züritüütschi liebesgedicht - edition kürz]

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06.11.2010

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sei poet


sei poet
benütz die sprache als ein federbrett,
spring einen salto in die alphabete,
zieh jeden satz wie eine flagge hoch.

sei poet,
nicht schaf im wolfspelz für ein schattenspiel,
nicht winterkleid für all die dünnen phrasen,
die jedermann zu jedermann an jedem tag erzählt,
dann kannst du gärtner der träume sein,
hurra!
und kannst kalif von bagdad sein,
hurra!
mehr will ich nicht von dir,
mehr will ich nicht von dir,

sei poet,
den innern erdteil sollst du projizieren
mit magischen laternen und mit spiegeln,
die man für zwei kometen überall erhält.

andré heller

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05.11.2010

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dankeschön!!!

hier klicken.












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indian summer


in youth, it was a way i had
to do my best to please,
and change, with every passing lad,
to suit his theories.

but now i know the things i know,
and do the things i do;
and if you do not like me so,
to hell, my love, with you!


dorothy parker

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04.11.2010

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die träume machen den freien auf die fraglichkeiten, grenzen und vorbehältlich- keiten der freiheit, insbesondere darauf aufmerksam, dass sie ein schöner wahn sei, der denkbar zarte behandlung erfordert. vielleicht wissen sehr viele mit der freiheit deshalb nicht richtig umzugehen, weil sie ihre leichtverletzlichkeit in betracht zu ziehen sich nicht angewöhnen wollen. … schnell zerflattert ein wahn; leicht bringen wir es fertig, dass uns die illusion gleichsam hasst, weil wir ihr wesen nicht fassen. … die freiheit … will gesehen sein und will wieder sein, als sei sie gar nicht da; sie ist zugleich wirklich und unwirklich.


robert walser

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03.11.2010

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vielleicht ist liebe die fähigkeit, jemandem sich selbst zurückzugeben.


hans bemmann
 
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02.11.2010

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flogen fische durch unser haar
zartfarbig die flossen
fast blumen

rose ausländer
[aus: liebe II – den ganzen text gibt es hier nachzulesen]

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01.11.2010

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was ich dir gesagt habe gilt für die wolken
was ich dir gesagt habe gilt für den meeresbaum
für jede welle für die vögel im blattwerk
für die kiesel des geräusches
für die vertrauten hände
für das auge das antlitz wird oder landschaft
und der schlag gibt ihm den himmel seiner farbe wieder
für die ganze vertrunkene nacht
für das gitter der strassen
für das offene fenster für eine entdeckte stirn
was ich dir gesagt habe gilt für deine gedanken für deine worte:
jede liebkosung jedes vertrauen hat seine dauer und überdauert sie.

paul eluard

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