31.05.2011

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separation


the time came when they longed to return.
my father walked circles in the living room,
my mother packed and unpacked her hands.
we will leave when the rain stops, they said.
the rain in this country is so unkind.

the time came when they could no longer return.
my father sat in his remote corner of silence,
my mother leant into lamplight and threaded sighs.
we will leave when the rain stops, she said,
hummed intricate tunes, sewed invisible tears.



nora nadjarian
gefunden bei lyrikline




30.05.2011

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von sieben satten und sieben mageren jahren


heute bin ich
der unsterblichkeit begegnet
im fell meiner katze

habe elektrische botschaften empfangen
von sieben satten und sieben
mageren jahren

meine jahre klagen ich
hätte sie gegen den strich gelebt
betrübt ging ich zu meiner
kleinen roten

ihre augen haben mich
gelehrt in bernstein einzuschliessen
was an endlichkeit nicht
verloren gehen darf

ich übe den glasblick
an dem nichts
hängen bleibt


eveline hasler



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29.05.2011

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ich möchte mir erlauben, ihnen zu raten, mich mit etwas grösserer genauigkeit anschauen zu wollen. sie gelangen dann vielleicht zu der für uns beide sicherlich überaus angenehmen empfindung, dass ich ebenso leicht, wenn nicht leichter, ein honetter und ehrlicher mensch als verwegen und ein gauner sein kann. ich bin überzeugt, dass ich entschieden nicht bin, wofür sie vielleicht sich verpflichtet fühlen möchten mich zu halten.


robert walser



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28.05.2011

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schnipsel #149


ein kleines grosses wunder oder die heitere im doppelten stier :::: sara, die alte killerkatze bzw. maikäfer flieg! :::: eintritt verblassend + nach vorheriger + langsam x 2 x 43 oder ‚powerpoint for poesie’ *-) :::: eine wertvolle begegnung mit bleibenden schäden resp. erden und ausatmen nicht vergessen! :::: lederjacke, nierengurt und ein töff mit begleitung oder wie viele geschichten einem durch den kopf gehen, wenn ein nachbar sich freut :::: und was meint der skeptiker zu der ganzen geschichte? :::: lyrische diven, verbale aufplustereien und noch so ein paar komplikationen :::: von überlegungen und tücken bei der anwendung einer bohrmaschine bzw. die erkenntnis eingeschränkter reichweiten und diverser weiterer persönlicher unzulänglichkeiten resp. konsequent akzeptable notlösungen beim installieren eines gemeinen gartenschlauchs :::: empören sie mich! bzw. man gönnt sich ja sonst nix ;-) :::: tipptopp!


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27.05.2011

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und was machen wir nun mit unseren gestohlenen pferden?

brigitte fuchs



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26.05.2011

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glück: der zustand des still lachenden eins-seins mit der welt.

hermann hesse



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25.05.2011

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in der tiefe seines bauches
nach wörteralgen taucht der dichter
am weissen strand des papiers
breitet er sie zum trocknen aus:
es wird gebeten das seegras nicht
vor seiner zeit zu wenden     danke


h.c. artmann


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24.05.2011

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es wird schon gut gehen
wenn wir nicht fragen
wohin.


andreas neeser
[aus: die sonne ist ein nasser hund, miniaturen - wolfbach verlag zürich]
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23.05.2011

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unsere sehnsucht nach welt, unser verlangen nach den grossen und flachen horizonten, nach masten und molen, nach gras auf den dünen, nach spiegelnden grachten, nach wolken über dem offenen meer; unser verlangen nach wasser, das uns verbindet mit allen küsten dieser erde; unser heimweh nach der ferne.


max frisch
[aus: tagebuch 1946 – 1949 – suhrkamp]
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22.05.2011

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alle steine auf dem weg, alle
wellen im feld und die furchen
die das meer pflügen.
alle wolken in der nacht
und die sterne, die in den nächten wohnen
und bei tag schlafen sie
im lehm. alle schritte
die du getan und alle wege
die dich führen und die schiffe
die du hast ausfahren sehen
und die, die träumen
auf dem grund aller meere.
und du und ich, wie wir waren
und du und ich, wie wir werden.
und alle träume, die wir schon träumten
und all dieser raum, der sich im innern verzweigt
wie ein baum
all dieser raum ...

anna montero
aus dem katalanischen von brigitte oleschinski – gefunden bei lyrikline
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21.05.2011

20.05.2011

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es grootet nüd alls woni wett.
s chunnt nüd immer wie s sett.
wänn s tumm mues goo,
wird s au tumm cho.

s grootet nie alls,
und s fèèlt nie alls.
aber s macht mer muet,
z dänke, alls seigi für öppis guet.


peter wettstein
[gefunden in: zürichdeutsches wörterbuch - verlag neue zürcher zeitung]



19.05.2011

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himmelblau


wer kann
fliegt taumelt übt
andere gangarten
zwischen pflicht und kür
der frosch klettert
der wurm traut sich
der biber sägt
das eichhörnchen forstet auf
die vielbeinige zieht fäden
jeder tut sein bestes
das richtige im falschen
leben spinnt webt schlitzt
mehrt sich meuchelt
ich schlafe
unterm himmelblauen
schamlos
wie die götter


doris runge
[aus: du also, gedichte - dva]
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18.05.2011

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bruchstück: keiner
kann den andern ergänzen
im punkt, der die mitte ist.


erika burkart
[aus: erika burkart 'nachtschicht' - ernst halter 'schattenzone', gedichte - weissbooks.w]
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17.05.2011

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repetition in der literatur


jugend zum beispiel.
die scharfen empfindungen
die inszenierten entblössungen
das überhöhte tempo des gefühls
die starre
die berechenbarkeit der magie
jedwede äusserung der sterne
der sonne himmlisches geblüt
das grünende tal
und das ewig sich fortschreibende
immer zu kurz kommende gedicht.


elisabeth borchers
[aus: wer lebt, gedichte - suhrkamp]
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16.05.2011

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wir gehen

wir gehen an strömenden tagen
mit gezählten schritten
auf häuser zu und waten
mit versperrten ohren
durch die strophen der weinberge
wir sind requiem genug
meinen wir tragen
hinter blassblauen fenstern
grosse wörter auf und lassen
die gedichte verregnen


wolf steinhardt
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15.05.2011

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die beste und sicherste tarnung ist immer noch die blanke und nackte wahrheit.
die glaubt niemand.


max frisch
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13.05.2011

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seit ich hier bin


seit ich hier bin trage ich taschen
voller papiere, fahre ich fahrstuhl
telefoniere, trinke kaffee wie ein mann
mit terminen , liege ich schlaflos,
interpretiere, huste und reime, traurige
tiere, spende dem geiger in der passage
einen gedanken, was ist das leben,
wenn nicht ein geigen in den passagen,
was kann er tun und was soll ich sagen:
pflege kontakte und streue asche auf
deine akte. so ist das hier.


hans ulrich treichel
gefunden im glarean magazin
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ich wünschte mir einen sommer
wie silberringe gewickelt um deine finger
einen sommer mit abenden entkleidet im dunkel der höfe
mit blauen monden, schultern gleich

ich wäre königin gewesen
im land des himmels, der die steine bespritzt
und königin im fluss deines schosses
meine brüste wie vögel so hoch
meine schenkel - ein schraubstock mit falte
und schneehaftem lächeln, wovon sich der mund füllt

einen sommer wie eine schnalzende zunge
die sich nach trüben quellen im unterholz streckt
einen sommer wie zähne, die in rote früchte beissen


claire genoux
gefunden bei artisanne
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11.05.2011

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finger, gemacht,
um tautropfen
zu modellieren.
wo schläft dein schatten?
ich lege mich zu ihm.


wolfdietrich schnurre
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10.05.2011

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so many times i was the one who stopped myself from doing things
so many times i was the one who grounded myself and clipped my wings

donovan
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09.05.2011

08.05.2011

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mein auge geht auf eine stille reise

wenn dein gesicht in deiner hand ausruht
(wie walters von der vogelweide)
mein auge geht auf eine stille reise
zu deinem auge das sich müde schlieszt
und weilt an deinem schönen mund
mein auge geht auf eine stille reise
zu deiner wange wunderbar und ernst
zu deiner hand zu deiner brust zu deinem fusz
mein auge geht auf eine sanfte reise
zu deinem herz

friederike mayröcker
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07.05.2011

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es ist alles zum letzten mal -
wenn wir das einsehen würden,
ginge uns die liebe auf.

ilse aichinger
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06.05.2011

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heute ist es wieder deutlich
spürbar,
das näherkommen von gewesenem.

ein stück leben,
damals belanglos,
das plötzlich umriss, geruch annimmt.


elisabeth meylan
[aus: entwurf zu einer ebene, gedichte - verlags ag ‘die arche’] - gefunden bei quersatzein
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05.05.2011

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das ist die sehnsucht: wohnen im gewoge
und keine heimat haben in der zeit.
und das sind wünsche: leise dialoge
täglicher stunden mit der ewigkeit.

rainer maria rilke
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04.05.2011

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der mensch ist ein feinfühliges wesen. er hat nur zwei beine, aber ein herz, worin sich ein heer von gedanken und empfindungen wohlgefällt. man könnte den menschen mit einem wohlangelegten lustgarten vergleichen.


robert walser
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03.05.2011

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foto: marianne rieter



ich übe den glasblick
an dem nichts
hängen bleibt

eveline hasler
[in: von sieben satten und sieben mageren jahren]
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02.05.2011

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ich werde die fische vom land wieder ins wasser treiben
ich werde den bienen ihr geheimnis ablauschen
ich will der sonne unterwegs rätsel aufgeben
die berge müssen endlich in ruhe schlafen können
und die schmetterlinge zwischenfallsloser reisen
ich werde die meere kitzeln bis sie sich schütteln vor lachen
mit alten taschenlampen glühwürmchen verführen und die wälder erschrecken
ich werde die wale aus dem konzept bringen wenn sie singen
werde das eis befragen ob es noch weiss wie es war als wasser
ich will eine wärmere farbe für alles was wächst
die antilopen sollen besser auf ihre ernährung achten
und die frösche endlich laufen lernen
ich will die erde wieder flach und die menschen vergesslich
einfach anders als die steine
die merken sich alles


andreas münzner
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01.05.2011

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ausfahrt


wenn die taue sich lösen
wenn der laufsteg eingezogen wird
flattern möwen und hände
an bord auf
flattern hände und möwen
am kai auf
und die luft wird bewegt
von händen und möwen
und am heck
bewegt sich schäumend wasser
und auf den gesichtern
am kai und an bord
zeigt sich wie immer
jenes besondere
das nichts
mit wasser und luft zu schaffen hat.


rainer brambach
[aus: wirf eine münze auf, gesammelte gedichte - diogenes]
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