31.01.2012

wer sein herz ...


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wer sein herz aus der brust reisst zur nacht, der langt nach der rose.
sein ist ihr blatt und ihr dorn,
ihm legt sie das licht auf den teller,
ihm füllt sie die gläser mit hauch,
ihm rauschen die schatten der liebe.

wer sein herz aus der brust reisst zur nacht und schleudert es hoch:
der trifft nicht fehl,
der steinigt den stein,
dem läutet das blut aus der uhr,
dem schlägt seine stunde die zeit aus der hand:
er darf spielen mit schöneren bällen
und reden von dir und von mir.


paul celan
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30.01.2012

der baum singt

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ich bin ein baum.
ich bin auf einem hügel geboren.
mich schützen keine wälder.
ich steh allein.

männer mit beilen bestimmen die gegend.
doch wir bäume sind nie verloren.
unter der erde
unsere wurzeln berühren sich leis.

ich bin ein baum.
wende mich lieber zur sonne hin.
liebende lehnen sich an mich an,
wenn sie hilflos sind.

ich wechsle die farbe, den namen, die form,
aber nie den sinn.
und habe eine kräftige stimme gegen den wind.


konstantin wecker
[aus: lieder und gedichte - ehrenwirth]
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29.01.2012

bürolisten

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da ihre seelen traurig grundiert waren
arbeiteten sie ziemlich gewissenhaft
erledigten ihr tägliches pensum im büro
fast immer fast immer
zur zufriedenheit der vorgesetzten
sie intrigierten nicht
sie begehrten kaum auf
pünktlich erschienen sie
pünktlich verschwanden sie
(wohin denn? niemand fragte)
und hiessen z.b.
kavafis kafka pessoa


kurt marti
[aus: zoé zebra, neue gedichte - nagel & kimche]
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28.01.2012

haft

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schneewittchen fand nicht
zu ihren zwergen zurück
blieb königin, lebenslang.


klaus merz
[aus: aus dem staub, gedichte - haymon]
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25.01.2012

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die formen zerschlagen, das licht brechen, die fehler neu erfinden,
eine art duft auf papier kritzeln, der sich gleich wieder verflüchtigt.


werner lutz
[aus: bleistiftgespinste, aufzeichnungen - waldgut]
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24.01.2012

brücke

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wie viel bläue
kann ein leben beatmen
wie viele stunden trennen himmel
vom wasser ein dünner streifen häuser
am ufer eine brücke wie eine lippe
gespannt das lächeln des
neuen tags


eveline hasler
[aus: die namenlose geliebte - nagel & kimche]
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23.01.2012

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sich wegwerfen können für einen augenblick …


hermann hesse

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22.01.2012

mach weiter

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blitz und donner
begleiten es nicht.
es ist einfach da,
von einer sekunde
zur andern.
nüchternes bewusstsein
des scheiterns.
so beiläufig
überzeugt es.
das licht geht nicht aus.
wir sind nicht im theater.
jetzt weitermachen.
mach weiter -: freier.


rainer malkowski
[aus: hunger und durst - suhrkamp]
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19.01.2012

die erinnerungen.

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könnten wir es
schneien lassen auf die
gegenden wo wir
aufgewachsen sind (alte
heimaten ohne eigentlichen
grund)
die erinnerungen würden weiss
wie frische wäsche
die gedächtnisse weich und
sauber und
schön


fredy peter
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18.01.2012

nothing.

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piglet sidled up to pooh from behind. "pooh?" he whispered.
"yes, piglet?"
"nothing," said piglet, taking pooh's hand. "i just wanted to be sure of you."


a.a. milne
[aus: winnie-the-pooh]
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17.01.2012

tage ...

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tage, wenn sie scheinbar uns entgleiten,
gleiten leise doch in uns hinein,
aber wir verwandeln alle zeiten;
denn wir sehnen uns zu sein ....


rainer maria rilke
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16.01.2012

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l (a

le
af
fa
ll

s)
one
l

iness


e. e. cummings
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12.01.2012

was brauchst du

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was brauchst du? einen baum ein haus zu
ermessen wie grosz wie klein das leben als mensch
wie grosz wie klein wenn du aufblickst zur krone
dich verlierst in grüner üppiger schönheit
wie grosz wie klein bedenkst du wie kurz
dein leben vergleichst du es mit dem leben der bäume
du brauchst einen baum du brauchst ein haus
keines für dich allein nur einen winkel ein dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den freund
die gestirne das gras die blume den himmel


friederike mayröcker
[aus: notizen auf einem kamel. gedichte 1991 - 1996 – suhrkamp]
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11.01.2012

wie ich bin ...

io sono sempre stata come sono
anche quando non ero come sono
e non saprà nessuno come sono
perché non sono solo come sono
ich war schon immer wie ich bin
auch als ich nicht war wie ich bin
und niemand wird je wissen wie ich bin
weil ich nicht bloss so bin wie ich bin.
patrizia valduga
übersetzt von paola barbon
[aus: la sento la mia vita... – gefunden bei lyrikline]
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10.01.2012

wirklichkeit VIII.

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spiegel sind dazu da, um zu brechen.
- peter rudl


stimmen immer und überall
wie abgestandene luft
in unbewohnten zimmern

wenn ihre füsse scharren
reden sie von dir

warum nur, kind,
hast du den ring verloren damals
schriebst du noch keine gedichte


marianne rieter
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09.01.2012

der gute engel

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es kam der, den ich liebte,
der, den ich gerufen.

nicht jener, der schutzlose himmel fegt,
gestirne ohne unterschlupf,
monde ohne heimat,
schnee.
schnee, wie er einer hand entrieselte,
ein name
ein traum,
eine stirn.

nicht jener, der sich den tod
ums haar geschlungen hat.

der, den ich liebte.

ohne die lüfte zu schrammen,
ohne blätter zu ritzen oder fenster zu rütteln.
jener, der sich die stille
ums haar geschlungen hat.
um hier, ohne mir wehzutun,
ein flussbett lieblichen lichts in meiner brust zu
graben und meine seele schiffbar zu machen.


rafael alberti
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07.01.2012

05.01.2012

im schatten.

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in die mulde meiner stummheit
leg ein wort
und zieh wälder gross zu beiden seiten,
dass mein mund
ganz im schatten liegt.


ingeborg bachmann
[aus: psalm – in die gestundete zeit]
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04.01.2012

1 stern ...

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1 stern und 7 kazamogipuffel
macht 13 zakopaddogei
zubtrahiere 5 franschöse männlin
macht 1 litanotterbett
nehme 3 quentlin klotzpulfer
legs in himmelsdeifelsnamen
dabei. wirst sehen wohinst
kommst wnr bällt wnr heult
wnr pfaucht wnre daugen däht


hugo ball
[aus: gedichte - wallstein]
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03.01.2012

alphabet (13)

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die alphabete gibt es

den regen der alphabete

den regen der rieselt

die gnade das licht

zwischenräume und formen
der sterne der steine

den lauf der flüsse
und die bewegungen des gemüts

die spuren der tiere
ihre strassen und wege

den bau der nester
den trost von menschen

tageslicht in der luft
das zeichen des mäusebussards

das zusammensein der sonne
und des auges in der farbe

die wilde kamille
an den schwellen der häuser

den schneehaufen den wind
die hausecke den sperling

ich schreibe wie der wind
der mit der ruhigen schrift
der wolken schreibt

oder schnell über den himmel
in verschwindenden strichen
wie mit schwalben

ich schreibe wie der wind
der stilisiert monoton
ins wasser schreibt

oder rolle mit dem schweren
alphabet der wellen
ihre schaumfäden

schreibe in die luft
wie die pflanzen schreiben
mit stielen und blättern

oder rund wie mit blumen
in kreisen und büscheln
mit punkten und fäden

ich schreibe wie der strand
einen saum schreibt
aus schaltieren und tang

oder fein wie mit perlmutt
die füsse des seesterns
und der schleim der muschel

ich schreibe wie das frühe
frühjahr das das gemeinsame
alphabet der anemonen
der buche des veilchens und
des sauerklees schreibt

ich schreibe wie der kindliche
sommer wie donner
über den kuppeln des waldrands
wie weissgold wenn der blitz
und das weizenfeld reifen

ich schreibe wie ein vom tode gezeichneter
herbst schreibt
wie rastlose hoffnungen
wie lichtstürme quer
durch nebelhafte erinnerung

ich schreibe wie der winter
schreibe wie der schnee
und das eis und die kälte
und das dunkel und der tod
schreiben

ich schreibe wie das herz
das klopft schreibt
das schweigen des skeletts
und der nägel der zähne
des haars und des schädels

ich schreibe wie das herz
das klopft schreibt
das flüstern der hände
der füsse der lippen
der haut und des geschlechts

ich schreibe wie das herz
das klopft schreibt
die geräusche der lungen
der muskeln des gesichts
des gehirns und der nerven

ich schreibe wie das herz
das klopft schreibt
das rufen des bluts
und der zellen der gesichte
des weinens und der zunge


inger christensen - aus dem dänischen von hanns grössel
[aus: alfabet / alphabet. (3. korrigierte auflage) - kleinheinrich verlag]
gefunden bei lyrikline
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02.01.2012

allegria di naufragi - freude der schiffbrüche

e subito riprende
il viaggio
come
dopo il naufragio
un superstite
lupo di mare
und plötzlich nimmst du
die fahrt wieder auf
wie
nach dem schiffbruch
ein überlebender
seebär

giuseppe ungaretti
[aus: gedichte, italienisch und deutsch, in der übertragung von ingeborg bachmann -
bibliothek suhrkamp
]


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01.01.2012

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alice asked the chesire cat, who was sitting in a tree, “what road do i take?”
the cat asked, “where do you want to go?”
“i don’t know”, alice answered.
“then,” said the cat, “it really doesn’t matter, does it?”

lewis carrol
[aus: alice in wonderland]
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