28.02.2011

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das damoklesschwert im chuchichäschtli
marianne rieters lyrik-debüt in leisen tönen. besprochen von stefan heuer

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reflect upon your present blessings, of which every man has plenty;
not on your past misfortunes which all men have some.


charles dickens
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27.02.2011

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das schönste meer
ist das noch nicht befahrene
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en güzel deniz
henüz gidilmemiş olanidir
- nâzim hikmet


in einer dieser namenlosen
einer dieser seitengassen von beyoğlu
durch die vom haliç her
die schiffshörner klingen und
die klage der möwen und der betenden

dich dort finden, flüchtig
wort für wort bleibst du namenlos
die safranblüten und
dein schwarzer blick, auch flüchtig
die ahnung einer bewegung
deiner augen deiner mundwinkel
deiner fragilen finger
die ein buch umblättern, flüchtig
...............wie der name
...............den ich dir gebe


gerrit wustmann
[aus: beyoğlu blues, gedichte, şirler, übertragen ins türkische von miray atli - fixpoetry verlag]


buchpräsentation  heute 19:30 uhr
bühne der kulturen im arkadas theater, platenstrasse 32, köln-ehrenfeld
neben gerrit wustmann und miray atli lesen frank milautzcki, amir shaheen und andrea karimé. moderation julietta fix

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26.02.2011

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lisa elsässer
[aus der nzz vom 23.02.2011]
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25.02.2011

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die schichten unseres lebens ruhen so dicht aufeinander auf, dass uns im späteren immer früheres begegnet, nicht als abgetanes und erledigtes, sondern gegenwärtig und lebendig.


bernhard schlink
[aus: der vorleser - diogenes]
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24.02.2011

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kurzgeschichten.


nach mitternacht: das schnarchen
der katze im zimmer die ränder
der wüste und nirgends ein licht …

münchhausen: wo der boden nicht trägt
zieht der himmel. zu halten vermag nur
die eine hand am andern arm …

in extenso: ein unverbindliches blau
die abwesenheit von erwartungen
ergänzende ausführungen fehlen …

labyrinth: nach der finsternis kündigen
geburtstage sich an. ob steine glücklicher
sind als man es war? …

nagelfluh: der tag verliert sich im tobel.
man ruft durch den regen und kennt
nicht den weg …

wildwechsel: vögel fallen vom himmel.
kinder gehen ins land. was bleibt sind
gezeichnete hände …

telepathie: im buch der bücher
das lächelnde bild. diese seidenen
fäden hinter der stirn …

karawanen: langsame sätze
auf dünnem papier. öffnet sich
ein wort spiegeln sich seine gesichter …


marianne rieter
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23.02.2011

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for you


if you're lost and feel alone
circumnavigate the globe
all you ever have to hope for two

and the way you seem to float
circumnavigate in hope
and they seem to lose control
with you

everyone of us is hurt
and everyone of us is scared
everyone of us is scared
not you

your eyes closed
your head hurts
your eyes feel so low

everyone of us is scared
everyone of us is hurt
everyone of us has hope

for you


coldplay
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22.02.2011

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wanderung


vom vom zum zum
vom zum zum vom

vom vom zum vom

vom vom zum zum

vom zum zum zum

vom zum zum vom
vom vom zum zum

und zurück


ernst jandl
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21.02.2011

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unkenntlich der salzton,
aufgelöst in diesem vermuteten
zusammeklang: die notwendigkeit,
sagst du, die unvermeidliche hoffnung,
das tausendunderste echo gegen die
tausendste wiederholung des einen,
das schon um eins zuviel ist und
so laut, dass keiner es hört.


helwig brunner
[aus: gehen | schauen | sagen, gedichte - steirische verlagsgesellschaft]
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20.02.2011

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fragmentarisch


das sichtbare das
unauffindbare das
nicht mehr vorhandene das
vergessene ich.


marie luise kaschnitz
[aus: ziemlich viel mut in der welt, gedichte und geschichten - insel verlag]
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19.02.2011

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foto: marianne rieter



seit mich mein engel nicht mehr bewacht,
kann er frei seine flügel entfalten
und die stille der sterne durchspalten, -
denn er muss meiner einsamen nacht
nicht mehr ängstlichen hände halten -
seit mich mein engel nicht mehr bewacht.


rainer maria rilke
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17.02.2011

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und ich schloss die augen und umarmte jemanden,
der nicht da war. noch verschiedenes dieser art.

rainer malkowski
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weil


du ein mensch bist
weil
ein mensch eine muschel ist
die manchmal tönt
weil
du in mir tönst
als wär ich eine muschel
weil
wir uns kennen
ohne namen und samen
weil
das wort welle ist
weil
du wort und welle bist
weil
wir strömen
weil
wir manchmal
zusammenströmen

wort welle muschel mensch


rose ausländer
[aus: wir pflanzen zedern - fischer]
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16.02.2011

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die schleppe


ein schwarm
von fischen
unter der
gläsernen haut
feuchte münder
fremde liebhaber
versunkene glocken

wie schwer
das leichte ist
wie schwer ist es
leicht zu werden


doris runge
[aus: du also, gedichte - dva]
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15.02.2011

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tragtaschen


läden für süsswaren
und spirituosen,
magazine voll essig,
bahnübergänge
und berberitzen,
die verszeile aus zermatt
mitgenommen ins alter,
schlecht verpackt,
und bei jedem einkauf
fallen tage aus den taschen,
und der neige d'antan
hängt im sohlenprofil,
dass die verkäufer flüstern
und ein lehrling kichert
hinter dem weisskrautfass.


günter eich
[aus: sämtliche gedichte - suhrkamp]
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14.02.2011

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den dingen den lauf lassen
heisst nicht sich treiben lassen
heisst durchlässig sein für botschaften
heisst annehmen und nicht gegenstossen
heisst ja-sagen sich aufmachen
heisst fliessen lassen heisst fliessen


traute foresti
[aus: es brennt der mohn, lyrik und prosa - bibliothek der provinz]
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13.02.2011

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dir zum gedächtnis dann
mein wiegendes sommergras
dir zum dank
meine blutende rose
dir zur ehre
mein fliegendes abendrot
dir zuliebe
meine tränen


marie luise kaschnitz


12.02.2011

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rotgelbgrün


es zieht dich nach hinten und du weisst
nicht schiebt dich jemand fährst du
rückwärts was ist mit der frau
am steuer träumst du nur oder
stehen die räder wohin gleitet die stunde
ruft da jemand ob die geister auch
die kreuzung scheuen dich fort von hier
und heute zerren der tag bleibt
in den schienen hängen derweil
die strassenbahn dich bei rot zurücklässt
und du im leerlauf wurzeln schlägst


helga kurzchalia
[gefunden bei fixpoetry]
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11.02.2011

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nichts ist verblüffender als die einfache wahrheit, nichts ist exotischer als unsere umwelt, nichts ist fantasievoller als die sachlichkeit. und nichts sensationelleres in der welt gibt es, als die zeit in der man lebt.


egon erwin kisch
[aus dem vorwort von 'der rasende reporter']

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10.02.2011

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foto: marianne rieter



die leise stunde,
in der herzen wie angelehnte türen sind
die den schmerz einlassen
als den bruder der freude:

sie hält sich bereit für die liebenden
die sich aneinander halten
über dem abgrund des ich
und einander lassen
um einer des anderen tröstung zu sein.


irmela dehning
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09.02.2011

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hart am wind


kein golf gespielt und kein
billard, keinen hund dressiert.

nie ein schweres motorrad gelenkt
oder gesegelt hart am wind.

und manchmal verliess
mich die kühnheit

auf einem wort zu bestehen
wie wolke und wald.

doch immer öfter sehe
ich meinen nächsten

bis auf ihre kinder-
gesichter hinein.


klaus merz
[aus: aus dem staub, gedichte – haymon]
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08.02.2011

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collage: marianne rieter



in worten wohnen aus metamorphosen.
wir brauchen keine beweise dass wir leben.


rose ausländer
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07.02.2011

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für aglaja veteranyi

sehrblau war dein blick über den dingen
und was du dir dachtest dabei immer
brüchig und auf der flucht vorm zu vielen
gewicht hielts dich nirgends länger als
ein erdendreh frau zwischen den seilen
zeilen tanzend fundfreudig im fremden
gut und wortreich dennoch nicht hin
reichend fürs leben schlechthin


alexandra lavizzari
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06.02.2011

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das konstruieren von atmosphäre


dachte ich es mir doch. dieses augenspiel
kann nicht echt sein. diese ungewohnten
scharfstellen. man muss sie sich einbilden.
von der zweiten oder dritten sitzreihe aus.
ich sehe mich um und die sonne scheint.
die sonne scheint wirklich. auch da wo ich
stehe und er geht. wenn ich will kommt er
zurück. mit dem ersten schnee unter dem
arm. die reihen sind unbesetzt. nimm platz.
doch so weit denke ich nie.


brigitte fuchs
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05.02.2011

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eines der wörter, die
wir gross schreiben müssen



das gross zu schreibende wort
das die vögel intonieren
selbst noch ihr schatten im flug
singt ein lied davon
die schiffe tragen es von ufer zu ufer
und die wolken über die berge
die bäume verneigen sich
vor der allmacht des wortes sehnsucht
und die wellen sind müde
vom wandern und warten.


elisabeth borchers
[aus: eine geschichte auf erden - suhrkamp]
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04.02.2011

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schweigsam


noch bliebe ein rest zu sagen
mein mund ist vorübergehend geöffnet

dann wieder geschlossen
die speerspitzen mit denen du zielst

sind vergiftet –
wenn man stille fotografieren könnte

wäre mein schweigen ein fisch
glatt und silbern

und er sähe aus der tiefe
zu dir hoch


andreas noga
[aus: orakelraum, lyrische collagen - silver horse edition]
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03.02.2011

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auf wörtern reisen


im zimmer sitzen
und auf wörtern reisen

auf sätzen durch verschlossene türen fliegen

herzen
aufschliessen mit dem
schlüssel wort

fluchen, segnen, hassen, lieben
alles
wortwörtlich


eveline hasler
[aus: auf wörtern reisen, gedichte - pendo]

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02.02.2011

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gehen sie mit den gedichten so misstrauisch um wie mit einem hausierer an der wohnungstür. denken sie stets daran, dass gedichte eitel sind und ihnen etwas aufschwatzen wollen, vorzugsweise sich selbst. beachten sie, dass gedichte ihre zeit und ihr geld kosten wollen, weil sie selbst zeit und geld gekostet haben. lesen sie das kleingedruckte! gedichte, die ihnen ehrfurcht, hochachtung, gottvertrauen in profaner form, kunst um der kunst willen abverlangen - statt verstand, gefühl und vergnügen an beidem, lesen sie bitte mit doppeltem misstrauen.


peter maiwald
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01.02.2011

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w

weder wollen noch wehren
weder wundern noch warten
weder wünschen noch wenn
weder wahnsinn, nur sommerverhangenwarm
warten noch die ewig kleine weile,
denn da waren doch die waghalsig
vagen wege,
wem zugewandt und wem verwandt?
und dann die wende: weg
von der langen weile.
wer da war, der ist
am schreibtisch, nun winterverhangenwarm.



lucia anna geis
gefunden bei fixpoetry
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