31.07.2011

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vergessen wir nie: das leben ist eine herrlichkeit!


rainer maria rilke

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30.07.2011

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fast nichts


zufällig sah ich dem mond nach,
wie er hinter einer wolke verschwand,
dachte mir nichts dabei
an einem beliebigen abend
mit westwind und zufällig allein
im garten, der blühte, und
es war kein zufall, dass es jetzt
päonien, rhododendron, die gelben iris waren,
ein folgerichtiges blühen,
die logik der jahreszeit.
zufall will das folgerichtige –
allein deshalb dieses blühen jetzt
und der mond zufällig hinter der wolke –
das hatte unschuld,
wie es glückliche augenblicke gibt,
in denen fast nichts geschieht.


karl krolow
[aus: die zweite zeit, gedichte – suhrkamp]

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29.07.2011

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die tiefe und die höhe sind näher zueinander als die mitte zu beiden.

khalil gibran

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28.07.2011

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more and more i want to do drawings where nothing happens,
without gags, without justification ...


jean-jacques sempé

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27.07.2011

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cuorthinterhof


qua sun il utschels
e'ls tets
our da blech
i plouva ad ün plouver
süls dis
incuntschaints
da la vart s-chüra
da la glüna
ingio cha da not
mütscha l'amur
our da fnestra

be minchatant
aintran uffants
e büttan lur frizzas
da plaschair
vers la vita


da sind die vögel
und die dächer
aus blech
es regnet immerzu
auf die tage
die unerkannt dastehn
auf der dunklen seite
des mondes
wo nachts die liebe
aus den fenstern flieht


nur manchmal
dringen die kinder ein
und werfen
pfeile des übermuts
nach dem leben

vallader und deutsch von leta semadeni
[aus: sbrinzlas funken scintille, gegenwartslyrik aus graubünden -
pro lyrica, schweizerische lyrische gesellschaft, mevina puorger
]


audiofiles und weitere gedichte von leta semadeni bei lyrikline

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26.07.2011

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25.07.2011

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atempause


der himmel ist rauchgrau aschgrau mausgrau
bleifarben steingrau im land
des platzregens der dauergewitter
die aufgequollenen wiesen die gärten
verfaulen und hunden sind über nacht
flossen gewachsen sie tauchen
nach jedem silbernen löffel der
aus dem fenster fällt wenn augenblicklich
behäbige marmeladen bereitet werden
in küchen bei gutem wetter durchflogen
von bäurinnen heu im gewand dampf
im hintern auf rübenhacken am mittag.


sarah kirsch
[aus: sämtliche gedichte - dva]

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24.07.2011

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Der Wolf


Wie ein gefangener Wolf
versuchte ich früher
der Falle zu entkommen
bereit, das eigene Fußgelenk
durchnagen zu müssen

Inzwischen habe ich gelernt
zu schreiben statt an
Knochen zu nagen

Man arrangiert sich irgendwie


Gerhard Rombach
[aus:  In uns - Geest Verlag]




Herzliche Glückwünsche zum runden Geburtstag, lieber Freund!


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windgriff


manche wörter
leicht
wie pappelsamen

steigen
vom wind gedreht
sinken

schwer zu fangen
tragen weit
wie pappelsamen

manche wörter
lockern die erde
später vielleicht

werfen sie einen schatten
einen schmalen schatten ab
vielleicht auch nicht


hans magnus enzensberger
[aus: blindenschrift - edition suhrkamp]

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23.07.2011

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lesen


der lesestoff ist grün,
fällt ein durch quadratische fenster,
bleibt auf dem fliesenstein
im vorflur liegen,
weit von den rhododendren,
erst nachmittag.


ilse aichinger
[aus: grüne gedichte – reclam]

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22.07.2011

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SEHNSÜCHTIGE TAGE -
GEHAUCHTES GESTEIN.


marianne rieter

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21.07.2011

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[gefunden in der gestrigen nzz]
weitere texte von bai juyi

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20.07.2011

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etwas entbehren, das hat auch duft und kraft.


robert walser

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19.07.2011

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haus der freunde


es war eine gegenseitige
übereinstimmung
der atemzüge der regungen und der laute
in ihrer ursprünglichen
form.

man musste achtgeben,
keins davon zu strapazieren.

und alles war durchdrungen
vom licht des lauts, vom licht des blicks, vom licht der stille,
und irgendwo hinter diesem leuchten
weinten kinder,
und die kerzenflamme

flackerte den kreuzungen
unserer schritte nach.

und wir waren
ein teil des lebens,
irgendwo neben dem tod,
neben dem feuer und neben der zeit,

wir waren selbst in vielem,
das alles.


gennadij ajgi

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18.07.2011

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innere logik.
man wünscht sich die windigen wörter ins bild -
diese wirren paradiese aus zerbrechlichem blau.


marianne rieter

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17.07.2011

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der kopf denkt viel zu langsam und der bauch viel zu schnell.

rudolf steiner

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16.07.2011

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bitte

kleide mich in liebe
denn ich bin nackt,
bin unbewohnte stadt,
benommen von lärm
taub von trillern,
trockenes blatt im märz.

umhülle mich mit freude,
ich wurde nicht geboren
um traurig zu sein,
die traurigkeit ist mir zu weit
wie ein fremdes kleid.

ich will wieder brennen,
den salzigen geschmack
der tränen vergessen,
die löcher in den lilien,
die tote taube auf dem balkon.

noch einmal mich wiegen
im wehenden wind
schäumende welle
meer über den klippen
meiner kindheit
sterne in den händen
lachende lampe auf dem weg
zum spiegel
in dem ich mich wieder schaue
heilen leibes
beschützt
an die hand genommen
vom licht
von grüner wiese und vulkanen
das haar voller spatzen.
schmetterlinge spriessen
aus meinen fingern
luft nistet in den zähnen
und kehrt zurück zur ordnung
des universums bewohnt
von zentauren.
kleide mich in liebe
denn ich bin nackt.


gioconda belli

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15.07.2011

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ein glockenschlag
vom königinnenturm
ein erwachen

was sie aus dem leben
herausgeklopft
eine träne aus stein

glaube weiter an die liebe
tief und königlich


traute foresti
[aus: es brennt der mohn, lyrik und prosa - bibliothek der provinz]

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14.07.2011

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welche geduld, welche zärtlichkeit verlangt die kunst!

auguste rodin

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13.07.2011

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ich brauche wahrheit und aspirin.

fernando pessoa

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12.07.2011

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geträumtes gedicht


als die unken kräuter waren
und die pappeln schachtelhalme -
bleibe bei mir,
schneide das brot.
die dämmerung flieht nur
um wiederzukehren.
bleibe.


rainer brambach
[aus: wirf eine münze auf, gesammelte gedichte - diogenes]

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11.07.2011

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an mein herz am sonntag


ich danke dir, mein herz,
dass du nicht säumst, dass du dich regst
ohne entgelt und ohne lob,
aus angeborenem fleiss.

siebzig verdienste hast du in einer minute.
jede deiner muskelbewegungen
ist wie ein anstoss des bootes
ins offene meer
zur fahrt um die welt.

ich danke dir, mein herz,
dass du mich ab und zu
herausnimmst aus der ganzheit,
als einzelheit selbst im traum.

du sorgst dafür, dass ich mich nicht
ganz und gar verflüchtige
in einem flug,
der keine flügel braucht.

ich danke dir, mein herz,
dass ich wieder erwacht bin -
und obwohl es sonntag ist,
ein tag der ruhe,
hält der verkehr unter den rippen an
wie sonst an den wochentagen.


wislawa szymborska
[aus: hundert freuden, gedichte - suhrkamp]

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10.07.2011

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alltägliches.


davon ausgenommen hübsche fremdworte
leuchtende wolken helle vogelstimmen
am morgen und beim einnachten ein glas
gavi in der abendsonne oder zweidrei
kerzen auf dem tisch mein privates abc
und die wärme seines lichts das rauschen
der buchen ihr wiegen und glitzern im
sommerregen quer durchs bild fahrende
züge überhaupt diese welt da unten der
dumpfe bass vom salzhaus die menschen
im park die regelmässigen besuche des
katers auch das unbändige einer alten
hopfenpflanze die telefonstimme vom
nachbarn oder die tangotänzer schräg
vis-à-vis die idylle im fenster über mir
ein paar krumme kreidestriche vor der tür
die ruhe am sonntagmorgen das fahrige
lächeln im geäst die fluchten diese tiefen
schichten von glas


marianne rieter

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08.07.2011

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blau


dieses blau war nicht käuflich.
es stellte sich freiwillig ein,
zur einzig möglichen stunde.

der himmel erkannte sich wieder.

"so ähnlich",
rauschte das meer.

eine zeitlang sah die sonne durchs fenster
auf die leinwand.
über ihr dasein beruhigt
wanderte sie weiter.

dieses blau war nicht käuflich.
es stellte sich freiwillig ein,
zur einzig möglichen stunde.
zur einzig möglichen stunde
erschien dieses blau.


rainer malkowski
[aus: hunger und durst, gedichte - suhrkamp]

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07.07.2011

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vorschau:
brennpunkte - lyrik aus der schweiz


irène bourquin, brigitte fuchs, svenja herrmann, marianne rieter, nathalie schmid
und elisabeth wandeler-deck und sechs illustrationen von judith sombray.
vorwort: beat brechbühl.


der band erscheint am 25.08.2011 - subskriptionspreis bis  20.08.2011 10,00 euro
über bestellungen freuen sich die autorinnen und fixpoetry

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06.07.2011

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es chunnt äbe so wies chunnt
& so wies chunnt chunnts äbe guet


patent ochsner
[in: am schärme - schlachtplatte]


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05.07.2011

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foto: marianne rieter



schnipsel #150

 
die katze lässt das mausen nicht! & die geschichte von der mutter und der verflixten küchenschublade :::: tibetische freundlichkeit mit blick auf den see :::: simultan chirurgische eingriffe, zwei rostige schlüssel & noch so ein paar magische ungereimtheiten :::: members only, ein schlagzeugsolo & diverse abgehende zäpfli in der näheren umgebung :::: eine philosophisch angehauchte weisse bluse mit rüscheli & ein neues spielzeug mit stögelischueh :::: klösterliche schafe neben sonnenblumen- und anderen feldern bzw. back to the roots! :::: bettsocken & ähnlich gelagerte nettigkeiten :::: es ist wie es ist, resp. 1 inch = 2.54 cm (nicht mehr und nicht weniger) :::: aaaahh oder flashback ins kafi luna bzw. der hügel im auhöfli & eine chilbi mit gauloises und mehr oder das innerliche kopfschütteln & schmunzeln beim lesen pubertierender tagebucheinträge :::: uff!!
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04.07.2011

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nur für dich


heimlich wachsen
ohne grosse worte
einfach ein bisschen wachsen
zwischen den zeilen
luft holen und etwas tun
von dem du nicht glauben kannst
das es möglich ist
und heimlich wachsen
nur für dich


hermann josef schmitz

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03.07.2011

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wir könnten menschen sein -
einst waren wir schon kinder.
wir sahen schmetterlinge,
wir standen unter dem silbernen wasserfall.
wir sahen den huschenden glanz im innern der muschel,
wir sahen alles.
wir hielten die muschel ans ohr.
wir hörten das meer.
wir hatten zeit


max frisch

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02.07.2011

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eigentlich bin ich ganz anders,
aber ich komme so selten dazu.


ödön von horváth

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01.07.2011

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einen jener klassischen
schwarzen tangos in köln, ende des
monats august, da der sommer schon

ganz verstaubt ist, kurz nach laden
schluss aus der offenen tür einer

dunklen wirtschaft, die einem
griechen gehört, hören, ist beinahe

ein wunder: für einen moment eine
überraschung, für einen moment

aufatmen, für einen moment
eine pause in dieser strasse,

die niemand liebt und atemlos
macht, beim hindurchgehen. ich

schrieb das schnell auf, bevor
der moment in der verfluchten

dunstigen abgestorbenheit kölns
wieder erlosch.


rolf dieter brinkmann
[aus: die welt ist aus dem stoff, der betrachtung verlangt - herausgegeben von uwe brandner]

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