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foto: marianne rieter
als das kind kind war,
ging es mit hängenden armen,
wollte
der bach sei ein fluss,
der fluss sei ein strom,
und diese pfütze das
meer.
als das kind kind war,
wusste es nicht, dass es kind war,
alles war ihm beseelt,
und alle seelen waren eins.
als das kind
kind war,
hatte es von nichts eine meinung,
hatte keine gewohnheit,
sass oft im schneidersitz,
lief aus dem stand,
hatte einen wirbel im
haar
und machte kein gesicht beim fotografieren.
als das kind kind
war,
war es die zeit der folgenden fragen:
warum bin ich ich und warum
nicht du?
warum bin ich hier und warum nicht dort?
wann begann die zeit
und wo endet der raum?
ist das leben unter der sonne nicht bloss ein traum?
ist was ich sehe und höre und rieche
nicht bloss der schein einer welt
vor der welt?
gibt es tatsächlich das böse und leute,
die wirklich die
bösen sind?
wie kann es sein, dass ich, der ich bin,
bevor ich wurde,
nicht war,
und dass einmal ich, der ich bin,
nicht mehr der ich bin,
sein werde?
als das kind kind war,
würgte es am spinat, an den
erbsen, am milchreis,
und am gedünsteten blumenkohl.
und isst jetzt das
alles und nicht nur zur not.
als das kind kind war,
erwachte es
einmal in einem fremden bett
und jetzt immer wieder,
erschienen ihm
viele menschen schön
und jetzt nur noch im glücksfall,
stellte es sich
klar ein paradies vor
und kann es jetzt höchstens ahnen,
konnte es sich
nichts nicht denken
und schaudert heute davor.
als das kind kind
war,
spielte es mit begeisterung
und jetzt, so ganz bei der sache wie
damals, nur noch,
wenn diese sache seine arbeit ist.
als das kind
kind war,
genügten ihm als nahrung apfel, brot,
und so ist es immer
noch.
als das kind kind war,
fielen ihm die beeren wie nur beeren in
die hand
und jetzt immer noch,
machten ihm die frischen walnüsse eine
rauhe zunge
und jetzt immer noch,
hatte es auf jedem berg
die
sehnsucht nach dem immer höheren berg,
und in jeder stadt
die sehnsucht
nach der noch grösseren stadt,
und das ist immer noch so,
griff im
wipfel eines baums nach dem kirschen in einem hochgefühl
wie auch heute
noch,
eine scheu vor jedem fremden
und hat sie immer noch,
wartete
es auf den ersten schnee,
und wartet so immer noch.
als das kind
kind war,
warf es einen stock als lanze gegen den baum,
und sie zittert
da heute noch.
peter handke
aus "der himmel über berlin" - gesprochen und gesungen von bruno ganz (klicken für youtube link)
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2 Kommentare:
ich liebe dieses lied, diesen text. und mit deinem bild zusammen einfach nur wunderbar!
danke!
vielen dank, sofasophia!!
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